Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 22.1.2020

Szene 094 – Mein Freund Stefan - 2008



Es war im Jahre 1996, als ich Stefan kennen lernte, er interessierte sich für Buddhismus. Ich hatte mich gerade entschlossen an der Verbreitung des Dharma im Rhein-Main-Gebiet zu arbeiten und hatte einige kleine Aufkleber am Frankfurter Südbahnhof angebracht, was mir heute nicht mehr unbedingt als der richtige Weg erscheint, den Dharma zu verbreiten. Aber es war das, was einem, der durch die Zeit im ÖkoBüro geprägt war, eben so einfällt. Und es hatte zumindest einen positiven Effekt: ich begegnete Stefan. (Bild)

Er rief mich an, das war in der zweiten Septemberhälfte 1996. Ich bereitete gerade das Treffen des INEB im ÖkoBüro Hanau vor (vgl. Szene 073 – Buddha Netz-Info), von daher kam mir ein Neuling nicht sehr gelegen, aber ich lud ihn einfach zu dem Treffen ein, an dem sonst eigentlich nur sehr langjährig aktive BuddhistInnen teilnahmen. Einzig sichtbares Ergebnis dieses Treffen der ökologisch engagierten Menschen des „Netzwerks Engagierter Buddhisten“ war das BuddhaNetz-Info, eine kleine Zeitschrift, die ich in den nächsten Jahren publizierte. Selbstverständlich wurde Stefan Abonnent dieses Periodikums.

Stefan hatte auch ein etwas anderes Bildungsniveau als wir. Er war auf Betreiben seines Stiefvaters, mit dem er sich nicht verstand, in einem Heim für schwer erziehbare Kinder gelandet, was ihm nicht guttat. Anschließend hatte er eher zufällig eine Lehre als Maler gemacht. Er hatte zuvor in einer Zeitschrift ein Bild von einem Malerlehrling gesehen, der lässig auf dem Boden lag und mit der linken Hand irgend etwas anstrich. Am nächsten Tag kam ein Berater des Arbeitsamtes ins Heim und fragte die Jugendlichen, ob sie schon eine Vorstellung von ihrem künftigen Beruf hätten. „Maler wär´ net schlecht“, sagte Stefan. Der Berater des Arbeitsamtes war froh, denn dieses Berufsbild war mit dem Bildungsniveau eines Hauptschülers aus dem Heim kompatibel, und so wurde Stefan Maler. Allerdings stellte sich heraus, dass das Dasein eines Gesellen im Malerhandwerk doch weniger cool und relaxed war, als es für ihn zunächst den Anschein hatte. Auch waren seine Arbeitskollegen irgendwie anders drauf als der spirituell interessierte Stefan. Also arbeitete er in verschiedenen Jobs, meist irgendwie als Kraftfahrer. Doch auch hier mutete man ihm Touren mit Gefahrgut zu, ohne ihn pflichtgemäß darüber zu informieren, was er da geladen hatte, wozu das gut war und wie er im Gefahrenfall damit umzugehen hatte. Dies und die ausbeuterische Einstellung vieler Arbeitgeber im Speditionsgewerbe machten ihm zu schaffen. Stefan sagte offen seine Meinung, leistete Widerstand und daher musste er wiederholt die Stellung wechseln.

Ich bekam damals von all dem nichts mit, denn für viele Jahre war das einzige, was ich mit Stefan zu tun hatte, dass ich ihm alle drei Monate ein Heft des BuddhaNetz-Info zusandte. Und obwohl Stefan sehr wenig Geld hatte, überwies er immer mehr als den Preis des Heftes. Ich fragte mich, wie ich mich bei ihm erkenntlich zeigen konnte.

Es war wohl im Herbst 2005, da kam mir die Idee ihn anzuschreiben und ihm mitrzuteilen, dass ich in Frankfurt einen Meditationsraum der FWBO, der Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens, eingerichtet hätte, dass er an unseren Veranstaltungen teilnehmen könnte, denn alle regelmäßigen Unterstützer könnten hieran kostenlos teilnehmen.

So kam es, dass Stefan bei uns erschien, bald regelmäßig an Veranstaltungen teilnahm, und wir uns anfreundeten. Wir fuhren auch einmal gemeinsam zu einer Veranstaltung der FWBO, die heute Triratna heißt, nach Essen, übernachteten dort in einer WG in der auch Lalitaratna und Sraddhabandhu lebten, und in der Nacht lieferten sich Stefan und Lalitaratna das furchterregendste Schnarchduell, das man sich überhaupt nur vorstellen kann. (Das Bild rechts zeigt Stefan auf dem Balkon des Frankfurter Meditationsraumes, im Hintergrund erkennt man Teile des Käfigs, den Stefan dort zur Taubenabwehr gebaut hatte.)

Im Jahr 2008 schilderte mir Stefan ein Problem: er hatte einen alten Ford Mondeo, der ziemlich viel Benzin verbrauchte. Seine Mutter war eine neue Beziehung eingegangen; da ihr Freund ein Auto hatte, brauchte sie ihren alten Ford Fiesta nicht mehr und Stefan konnte ihn übernehmen. Der verbrauchte wesentlich weniger Benzin als der Mondeo. Stefan hatte versucht seinen Mondeo zu verkaufen, hatte jedoch keinen Käufer gefunden. Zum Verschrotten war ihm das Auto allerdings noch zu gut, er wollte es später erneut anbieten. Damit es inzwischen nicht unnötig Kosten verursachte, hatte er es abgemeldet, still gelegt. Allerdings erlischt die Betriebserlaubnis eines Autos, wenn es binnen sechs Monaten nicht wieder angemeldet wird. Jetzt müsste er es eigentlich wieder anmelden, und das bedeutete, dass wieder Steuer und Versicherung fällig würden, er wäre in einem echten Dilemma, sagte er mir.

Ich machte Stefan einen Vorschlag: er solle das Auto wieder anmelden, ich würde es fahren und für alle laufenden Kosten aufkommen und er könne es jederzeit verkaufen. Ich hatte damals kein Auto, lieh mir jedoch hin und wieder ein Fahrzeug bei CarSharing. Mitunter benutzte ich auch das Fahrzeug meiner Freundin Sandra, vor allem, wenn wir gemeinsam unterwegs waren, dieses hatte jedoch gerade seinen Geist aufgegeben. In der Tat war so allen gedient: Sandra und ich konnte Touren unternehmen, so fuhren wir beispielsweise einmal zu einem Konzert von Leonhard Cohen nach Lörrach, Stefan konnte die Option auf einen Autoverkauf beibehalten und hatte keine Kosten. Man muss allerdings sagen, dass der Ford Mondeo tatsächlich Benzin soff, bis zu 14 Liter auf 100 Kilometer. (Das Bild entstand während des Ausfluges nach Lörrach).

Im September fuhr Stefan mit seiner Frau und dem Fiesta für zwei Wochen nach Split, seine Frau stammte von dort. Wir verabschiedeten uns. Ich wollte am Wochenende nach Vimaladhatu fahren, einem Retreatzentrum der FWBO, mein Freund Bodhimitra wohnte dort. Am Tag bevor es nach Vimaladhatu ging, Stefan war gerade weg, fuhr mir in Frankfurt ein anderes Auto auf das Fahrzeug auf, der hintere Stoßfänger war kaputt. Ich fand das ärgerlich. Was würde wohl Stefan dazu sagen?

Auf dem Rückweg von Vimaladhatu am Montagmorgen reagierte der Motor auf der Autobahn plötzlich nicht mehr aufs Gasgeben. Ich hielt an, rief den Abschleppdienst. Der brachte das Auto zu einer Werkstatt in Herborn. Der Check ergab, dass etwas kaputt war, das man Simmering nannte. (Ich hatte gar nicht gewusst, dass sich dieser Wiener Stadtteil in einem Ford-Motor befand!) In der Werkstatt machte man mir keine Hoffnung: damit wäre der Motor kaputt, das Fahrzeug müsste verschrottet werden.

Am nächsten Tag kam Stefan aus Kroatien zurück. Ich rief ihn an: „Du, Stefan, mit deinem Auto ist etwas passiert.“ - „Hast du es kaputt gemacht, Horst?“ - „Nein, Stefan, ich hab´es nicht kaputt gemacht, aber mir ist letzte Woche einer hinter drauf gefahren?“ - „Schlimm?“ - „Naja, der hintere Stoßfänger ist kaputt und muss ersetzt werden.“ Stefan atmete hörbar auf: „Na, das geht ja noch, Hauptsache es fährt noch!“

Ich schluckte. „Stefan, das war die gute Nachricht, jetzt kommt die andere...“ Ich schilderte, was passiert war. Stefan schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: „Das hat doch auch etwas Gutes. Ich muss mir keine Gedanken mehr machen, ob und wie ich es verkaufen kann.“ Ich war völlig überrascht: Stefan war absolut entspannt, regte sich überhaupt nicht auf.

Ein paar Tage später fuhren wir (mit einem CarSharing-Fahrzeug) nach Herborn, holten die Nummernschilder ab und ließen den Ford verschrotten. Zwei Wochen später kam Stefan zum Meditationsabend. Er hielt 125 Euro in der Hand. „Hier, Horst, das ist von Steuer und Versicherung zurück gekommen, das steht dir zu.“ Ich wies dieses Ansinnen zurück: „Unsinn Stefan. Ich habe dein Auto vernichtet, behalte das Geld.“ Es war das erste Mal, dass wir uns nicht einigen konnten. Ich holte Klebeband und befestigte die 125 Euro an der Schafzimmertür. „Die bleiben da und sind reserviert für ein gemeinsames Abendessen. Und für 125 Euro können wir auch noch unsere Partnerinnen mitnehmen.“ So kam es, dass wir einige Zeit danach in Neu Isenburg beim Inder speisten. Als die Bedienung die Rechnung brachte, war die Summe 120,90 €. Ich übergab die mit Klebeband zusammen gehaltenen 125 €.

In der Folgezeit wurde Stefan einer der beiden Vorsitzenden (neben mir) der Koordination e. V., des Vereins, der damals die Meditationseinrchtung „FWBO Frankfurt“ betrieb und ab 2009 „Meditation am Obermarkt“.

Gelnhausen war allerdings mehr als 60 km von Stefans Wohnort entfernt. Irgendwann konnte er die Fahrkosten nicht mehr bezahlen, da er arbeitslos war. Meinen Vorschlag, der Verein könnnte ihm als mittellosen Vorstandmitglied die Fahrkosten ersetzen, wies er zurück. So kam es, dass unsere Verbindung langsam erlahmte. Eigentlich schade. Stefan war ein so guter Freund!

w

Stefan (links) bei einem Stand der FWBO Frankfurt auf dem Frankfurter Wesak-Fest im Ostpark 2007


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