Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 29.1.2020

Szene 082 – Meditation – laut und schweißtreibend - 2002-2010



Ja, richtig. Normalerweise ist eine Meditation weder laut noch schweißtreibend. Normalerweise. Aber was ist bei mir schon normal?

Ganz so ist es auch nicht. Selbstverständlich meditiere ich gewöhnlich nicht laut – und schon gar nicht schweißtreibend. Was aber ist das für eine ungewöhnliche Meditationspraxis, die ich als laut und schweißtreibend bezeichnete?

baumIch hatte zuvor um Ordination in der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna nachgefragt und war im Dezember 2001 auf einem Ordinationsvorbereitungskurs in Norfolk. Dort erlernten wir unter andererm die Prostrations- praxis. Dabei baut man vor seinem geistigen Auge dieses Bild auf. Es enthält Figuren aus der buddhistischen Geschichte und der buddhis- tischen Mythologie, die für die Buddhistische Gemeinschaft Triratna besonders in-spirierend sind.

Anschließend steht man auf und verneigt sich „völlig“, d. h. mit dem ganzen Körper, vor diesem Inspirationsbaum und rezitiert dazu eine religiöse Formel. Bei dieser tiefen Verbeugung, auch Niederwerfung (Prostration) genannt, steht man zunächst, geht dann auf die Knie legt sich anschließend voll ausgestreckt auf den Bauch und vollzieht mit den Händen eine Demutsgeste, dann steht man wieder auf und das Ganze beginnt von vorne. Jede dieser einzelne Prostrationen dauert etwa 12 Sekunden. Nach einer Reihe von Niederwerfungen (bei unseren Übungen in Norfolk etwa 50) setzt man sch erneut in Meditation, visualisiert ein Reinigungsritual und baut dann den Inspirationsbaum in einer bestimmten Weise wieder ab.

Man ermunterte uns in unserem Retreatzentrum Padmaloka in Norfolk, dieses Ritual regelmäßig für eine Zeit zu üben, und zwar sollten wir selbst die Intervalle und die Dauer festlegen, je nachdem, was wir für realistisch hielten. Ich entschied mich dafür, diese Praxis mindestens vier Mal wöchentlich für ein halbes Jahr zu üben.

Um mit den Figuren auf diesem Inspirationsbaum – einer tibetischen Tradition folgend häufig auch als Zufluchtsbaum bezeichnet – besser vertraut zu werden, legte ich mir das Buch „Teachers of Enlightenment“ zu, in dem Kulananda den Inspirationsbaum und alle Figuren darauf beschreibt.

Als ich am 8. Januar 2002 nach meiner Rückkehr aus England mit meiner Niederwerfungspraxis begann, war ich in meiner kleinen Mansardenwohnung in Hanau-Großauheim. Ich las zuerst ein Kapitel aus dem Buch, das sich mit einer der Figuren auf dem Zufluchtsbaum beschäftigte, mit Buddha Dipankara. Diese (nichthistorische Figur) wurde im Aussehen und in ihrer mythologischen Bedeutung sehr genau beschrieben. Dann baute ich in der Meditation im Geist den Zufluchtsbaum Stück für Stück auf, bis ich zu der Figur Dipankaras kam. Um meine Begeisterung für Dipankara auszudrücken, beschäftigte ich mich aber nicht nur im Geiste mit ihm, sondern lobte ihn laut: ich hielt eine Laudatio auf Dipankara, wobei ich das frisch erworbene Wissen über ihn als Grundlage nahm, und so eine vielleicht 10-minütige Lobpreisung auf ihn verkündete, anschließend setzte ich meine Übung in der erlernten Weise fort.

Im Buddhismus sprechen wir von Zufluchtnahme (Bekenntnis) zum Buddha, zu seiner Lehre und zur Gemeinschaft der erfolgreich Praktizierenden auf den drei Ebenen, also mit Körper, Rede und Geist. Eine buddhistische Meditationspraxis ist immer eine Übung des Geistes. In der Prostrationspraxis kommt als zweite Ebene die des Körpers hinzu, nämlich durch die körperliche Niederwerfungsübung. Durch meine lautstark vorgetragene Laudatio habe ich auch die dritte Ebene, die der Rede, in diese Praxis integriert. Und genau dadurch, fand meine Begeisterung – der meditative Vertiefungs-Faktor „piti“ (Verzückung) – sowohl Ausdruck als auch Nahrung. Das fühlte sich stark an. Das war ein herrliches, ein äußerst inspirierendes Erlebnis!

Am nächsten Tag verfuhr ich ähnlich. Ich las zunächst wieder ein Kapitel in „Teachers of Enlightenment“, diesmal über Maitreya, und ging dann in der Meditation genauso vor wie tags zuvor, ich baute dem Inspirationsbaum wieder im Geiste auf und hielt auch eine Laudation auf Dipankara, wie tags zuvor, allerdings etwas kürzer, vielleicht 5 Minuten, danach kam die Laudatio auf den Helden des Tages, auf Maitreya, so ausführlich wie möglich – etwa 10 Minuten.

Und genau so verfuhr ich jeden weiteren Tag. Ich las jedesmal zuvor einen weiteren Abschnitt und lobte dann lautstark die Figuren, die ich mir bereits erarbeitet hatte. Den „Held des Tages“ ganz ausführlich, die schon zuvor eingeführten Figuren kürzer, je nachdem zwischen ein und fünf Minuten. Durch immer neue Figuren blieb die Praxis spannend und begeisternd.

Soweit zu der Tatsache, dass diese Praxis laut war, aber inwiefern war sie scheißtreibend?

Nachdem ich auf etwa 20 Figuren gekommen war, gewöhnte ich mir an, jeweils drei Niederwerfungen zu den bereits eingeführten Figuren zu machen, das waren 60 Niederwerfungen, also etwas mehr als wir in Padmaloka gemacht hatten. Und da an jedem weiteren Übungstag eine weitere Figur dazu kam, waren es auch täglich drei Prostrationen mehr. Zugegebenermaßen hatte letzteres nicht nur spirituelle Gründe. Ich hatte zu wenig Bewegung und war schon immer zu stark beleibt. Auf diese Art kam auch etwas Körperertüchtigung in meine buddhistische Praxis, was ich als geschicktes Mittel ansah, die buddhistische Praxis mit dem Ziel des Erhaltes eines gesunden Körpers als Basis für einen gesunden Geist zu verbinden.

Und auch die Tatsache, dass ich allmählich zu den Prostrationen immer weniger anhatte, da ich doch stark ins Schwitzen kam, störte mich nicht. Zwar trug ich igendwann nur noch eine Unterhose, aber so konnte ich mir durchaus wie ein indischer Fakir bei seinen Übungen vorkommen. Als Unterlage hatte ich inzwischen ein Badetuch, das den Schweiß aufnahm. Während der Meditation zum Schluss hatte ich einen weiten Bademantel übergezogen, der sich für mich wie die Robe eines buddhistischen Mönchs anfühlte.

Nach einiger Zeit hatte ich alle Figuren und auch die auf dem Inspirationsbaum abgebildeten Bücher in meine Lobespraxis integriert, sodass ich auf jeweils 144 Prostrationen kam. Ich bemühte mich auch von den anfänglichen 15 Sekunden pro Prostration allmählich auf eine kürzere Zeit zu kommen und war am Ende des halben Jahres bei etwa 9 Sekunden angekommen. Dennoch benötigte ich für diese Praxis relativ viel Zeit, etwa 150 Minuten pro Sitzung, also 10 Stunden pro Woche (bei vier Sitzungen).

Es war die beste und ergiebigste, die erfüllendste und begeisterndste Praxis, die ich jemals unternommen habe. Und allein die Tatsache, dass sie so viel Zeit in Anspruch nahm, und ich noch vieles andere zu tun hatte, führte dazu, dass ich sie nach einem halben Jahr vorerst aufgab, jedoch später immer einmal wieder aufnahm, aber nie wieder mit dem Gelöbnis, dies für eine bestimmte Dauer zu tun. Allerdings habe ich sie bei vielen meiner Einzelklausuren wieder aufgegriffen und dort auch täglich geübt. Allerdings ergaben sich dabei im Dezember 2010 erhebliche körperliche Schwierigkeiten: meine Knie wollten nicht mehr mitmachen, auch meine Achillessehne machte Probleme, also suchte ich nach einer anderen Praxis, bei der ich mit Körper, Rede und Geist üben konnte. Aber das ist eine andere Geschichte (vgl. Szene 29 – Ein wahnwitziger Eid).


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