Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 29.1.2020

Szene 081 – Wie ich aus der DDR abgeschoben wurde - 1979



Ich weiß, dass diese Geschichte in weiten Teilen unglaubhaft klingt. Aber es hat sich genau so ereignet, und ich muss ssgen, dass dieser Tag wohl so ziemlich das Merkwürdigste war, was mir in diesem Leben passierte – spirituelle Ereignisse ausgenommen. Dieser Tag hatte in der Tat absolut nichts mit Spiritualität und Ethik zu tun. Es lief nur irgendwie alles sehr, sehr merkwürdig.

Es beginnt an einem Freitag, vermutlich am 12. Januar 1979. Ich möchte nach der Schule nach Berlin fahren, um mit meiner Schwester die Erbteilung klar zu machen, unsere Mutter war im November verstorben. Allerdings war mein Auto kaputt, ich hatte in dieser Woche einen schweren Unfall (vgl. Szene 080 – Blick in die Zukunft). Meine Schwiegermutter hatte mir zugesagt, dass ich den Wagen von Arno, ihrem Ehemann, nehmen könnte. Am Dienstag zuvor war Arno beerdigt worden. Also fuhr ich nach der Schule nach Maintal-Hochstadt, um das Auto abzuholen. Es stellte sich heraus, dass es nicht ansprang, also wurde ich zur Ford-Werkstatt Bommersheim nach Hanau geschleppt, ich glaube von Ernestine, meiner Schwägerin, da bin ich mir aber nicht mehr ganz sicher.

Beim Bommersheim ist man nicht sehr glücklich darüber, am Freitagmittag noch eine dringende Reparatur herein zu bekommen. Nein, das könne erst nächste Woche gemacht werden. Allerdings erbot sich der Geselle, mir einen Trick zu zeigen.

Er öffnete die Kühlerhaube des Ford Taunus 17m, und zeigte auf eine Stelle, ziemlich weit unten am Motor: „Das ist der Anlasser, der macht bei älteren Modellen dieses Typs immer mal Probleme und muss ausgetauscht werden, es gibt da aber einen Trick.“ Er verschwindet kurz und kommt mit einem gelben Farbtöpfchen, einem Pinsel, einem Hammer und einem Besenstil zurück. Ich runzele skeptisch die Stirn.

Der Geselle: „Setzen Sie sich mal ans Lenkrad, und wenn ich es sagen, dann drehen Sie den Zündschlüssel.“ Er nimmt den Besenstil, steckt ihn in den Motorraum und haut mit dem Hammer auf das obere Ende des Besenstils, gleichzeitig sagt er: „Jetzt!“ Ich drehe sofort den Zündschlüssel, und der Motor springt an. „War das jetzt nicht etwa Zufall?“ frage ich. „Nö, das klappt eigentlich immer. Machen Sie mal den Motor aus, jetzt setze ich mich mal rein und Sie hämmern.“

Er zeigt mir genau, an welcher Stelle der Besenstil angesetzt werden muss und setzt sich dann hinters Lenkrad. „Jetzt klopfen Sie mal, Herr Gunkel, so mittelfest.“ Ich tue es und der Motor springt an.

Alles klar,“ sagt der Geselle, „bringen Sie dann am Montagmorgen das Fahrzeug zur Reparatur. Sie können jetzt fahren, ich male Ihnen noch schnell einen dicken gelben Punkt auf die Stelle, wo der Besenstil angesetzt werden muss, und gebe Ihnen den Stil mit.“

Und so starte ich Richtung Berlin. Auf dem Hinweg will ich noch eine Bekannte besuchen, habe mich mit ihr zum Kaffee verabredet. (Wer es ist, habe ich allerdings vergessen, auf jeden Fall jemand, der an der Strecke wohnt.) Gesagt, getan.

Nach dieser Unterbrechung setze ich mich wieder ins Auto, versuche zu starten, aber selbstverständlich springt der Motor nicht an. „Na, will er nicht?“ fragt ein vorbeigehender Passant. „Doch, doch, wenn Sie mir dabei helfen.“ - „Wie kann ich Ihnen denn helfen, ich versteh´ nix von Autos?“

Ich öffne die Motorhaube und erläutere ihm: „Sie sehen doch diesen gelben Punkt da unten?“ - „Ja“ - „Und nun setzen wir diesen Besenstil mit der Spitze auf den gelben Punkt. Genau das machen Sie jetzt. Und dann hauen Sie mit dem Hammer dort oben auf den Besenstil, während ich das Fahrzeug starte.“

Der Mann guckt mich entgeistert an, dann schaut er sich um und sucht die versteckte Kamera. „Ist ganz einfach,“ sage ich, „bei älteren Modellen dieses Typs muss man das immer so machen.“ Er kratzt sich am Kopf. Dann sagt er: „Wissen Sie, ich setz´ mich ans Steuer und starte den Wagen. Und inzwschen können Sie ihr Auto kaputt hauen.“

Auch gut“, sage ich, nehme den Besenstil und wir starten in der gewohnten Manier das Auto. Lachend und kopfschüttelnd geht der Mann weiter. Während ich auf der Autobahn bin – noch in der BRD – meldet sich der Kaffee, er sei jetzt lange genug in mir gewesen. Ich fahre auf einen Autobahnparkplatz. Die waren damals noch kleiner als heute, dafür gab es öfter welche, sie hatten allerdings keine Toiletten. Damals benutzte man das Gebüsch. Natürlich lasse ich den Motor an.

Als ich vom Gebüsch zurück komme, ist der Motor aus, Mist. Ich versuche zu starten, erfolglos. Vielleicht geht es ja, wenn man klopft und dann ganz schnell ins Auto geht und startet. Nein, leider nicht. Außer mir ist niemand auf dem Parkplatz, was jetzt? Ich versuche, ob ich vielleicht, wenn ich mich ganz lang mache … nein, das geht auch nicht. Ich denke nach. Ja, das könnte gehen!

Ich kurbele also die Scheibe auf der Fahrerseite herunter, ziehe meinen rechten Schuh und Strumpf aus, stecke das rechte Bein durchs Autofenster. Wenn ich den Zündschlüssel mit den Zehen drehen kann, müsste ich gleichzeitig eine Hand am Besenstil und mit der anderen den Hammer...

Es muss ein ziemlich absurdes Schauspiel gewesen sein, aber ich habe ja keine Zuschauer, dachte ich... In diesem Moment kommt ein Polizeiwagen auf den Parkplatz: „He, Sie, was machen Sie denn da?“

Ich starte einen Ford Taunus 17m!“

Machen Sie das immer so?“

Nein, nur dieses Wochenende. Aber vielleicht könnten Sie mir mit diesem Besenstil behilflich sein?“ Ich gehe auf den Polizisten zu.

Zeigen Sie mir doch mal die Fahrzeugpapiere!“ Ich tue es.

Sind Sie der Herr Treffels?“ - „Nein, ich heiße Gunkel. Der Herr Treffels ist mein Schwiegervater.“

Und der weiß aber, dass Sie jetzt hier mit seinem Auto sind, ja?“

Nein, das weiß er nicht. Also glaube ich jedenfalls, sicher bin ich da nicht. Weil, mein Schwiegervater, der ist ja tot.“

Inzwischen hat sein Kollege telefoniert: „Also als gestohlen ist der bisher nicht gemeldet.“

Der erste Polizist sagt: „Ich glaub, wir nehmen den trotzdem erst mal mit, da stimmt doch was nicht, auch wenn der Wagen bislang noch nicht als gestohlen gemeldet wurde.“

Moment mal,“ sage ich. „Wieso sollte ich einen Wagen gestohlen haben, für den ich sowohl Wagenpapiere als auch Autoschlüssel habe? Und glauben Sie vielleicht es sei der neueste Tarnungstrick von Autodieben, im Beisein der Polizei zu versuchen, ein Auto mit dem rechten Fuß zu starten und dabei mit einem Hammer auf einen Besenstil im Motorraum zu hauen, um besonders unverdächtig zu sein? Ich mache Ihnen jetzt mal einen Vorschlag. Sie helfen mir, und wenn das Auto dann wie von mir beschrieben startet, dann lassen Sie mich weiterfahren, im anderen Fall können Sie mich mitnehmen.“

Und so kam es, dass ich der Polizei zeigen konnte, wie ältere Modelle eines Ford Taunus 17m gestartet werden.

Meine Fahrt Richtung Berlin ging weiter, und ich passsierte nach den üblichen Grenzkontrollen die Grenze zwischen der BRD und der DDR. Kurz darauf wurde das Wetter schlechter. Nieselregen, viel Schmutz auf der Fahrbahn, die Frontscheibe verschmiert. Ich suche nach einem Hebel für die Scheibenwaschanlage, leider vergebens. Ich fahre immer langsamer, sehe auch keinen Parkplatz, sehe überhaupt fast nichts mehr. Ein LKW überholt. Der hat eine starke roten Nebelschlussleuchte, sehr hell. Da es ein westlicher LKW ist der wohl nach Westberlin will, hefte ich mich an seine hintere Stoßstange, folge ihm im Abstand von höchstens 10 m, sodass ich den Scheinwerfer gerade noch sehen kann, ansonsten ist alles düsterstes Grau. So geht das weit über eine Stunde lang, vielleicht zwei Stunden.

Endlich wird der LKW langsamer, hält an, ich hinter ihm. Ob wir in Berlin sind, am Grenzkontrollpunkt Dreilinden? In diesem Moment klopft es an meine Scheibe, ich öffne das Fenster, ein VoPo steht da, fragt: „Können Sie durch diese Scheibe eigentlich noch etwas sehen?“

Nein, Herr Polizist, leider absolut nichts mehr.“

Und warum halten Sie dann nicht an und machen sie sauber?!“

Ach, darf man in der DDR denn auf der Autobahn anhalten?“

Er wird ungeduldig, fühlt sich veräppelt: „Natürlich nicht, aber Sie können ja wohl auf einen Parkplatz fahren und dort die Scheibe sauber machen, oder?“

Nein, tut mit leid, kann ich nicht, weiß ja nicht, wo ein Parkplatz ist, weil: durch meine Scheiben kann ich nix sehen.“ Er ist kurz vorm Platzen, fühlt sich wohl wirklich von mir aufgezogen. Ich gebe mich verträglich: „Aber wenn das hier erlaubt ist, würde ich gern aussteigen und meine Scheiben sauber machen.“

Er gibt sich einigermaßen versöhnt. Im Schritttempo geht es weiter zum Grenzabfertigungsschalter. Dort gibt es eine Rationalisierungsmaßnahme: die Wagenpapiere werden eingesammelt, durch eine Art Rohrpost weitergesendet und geprüft, dann am Ende gibt es noch einen Grenzbeamten in einem Glaskasten, der eine Gesichtskontrolle durchführt, dann gibt er einem die Papiere wieder und vor einem öffnet sich eine Schranke, alsdann kann man ausreisen in die „Besondere politische Einheit Berlin (West)“, so die offizielle Bezeichnung. Also, so geht’s jedenfalls normalerweise, aber natürlich nicht an einem Tag wie diesem.

Ich habe also meine Papiere abgegeben, gelange in dem Ford an den Glaskasten, in dem heute eine Beamtin sitzt. Sie schaut mich an, schaut in die Papiere, ich halte meine Hand hin, um die Papiere wieder in Empfang zu nehmen, da drückt sie auf einen Knopf und vor mir fährt eine Betonwand hoch, gleichzeitig ertönt eine Warnsirene. Das war noch nie!

Ein Offizier kommt zu meinem Auto: „Fahren sie dort rechts rüber; dahin, wo das Schild steht.“ Ich mache es.

Er kommt zu meinem Auto, mehrere andere Uniformierte auch. „So, machen Sie bitte den Motor aus, schließen Sie Ihr Fahrzeug ab und folgen Sie mir.“ - „Nein!“

Der Offizier ist verblüfft: „Wie, nein?“

Das mache ich nur, wenn sie mich hinterher wieder zu meinem Auto zurückbringen , mir das Auto öffnen und den Motor wieder anmachen.“

Was soll der arme Offizier machen? Diskutieren? Gewalt gegen einen Bundesbürger anwenden? Oder vielleicht zustimmen? Er denkt einen Augenblick nach. Die letzte Variante erscheint ihm die unproblematischste: „Ja, in drei Teufels Namen, aber jetzt kommen Sie.“ - „Gut!“ sage ich, schalte den Motor ab, steige aus, schließe den Wagen ab und folge.

Na, also! Es ist allerdings ein sehr merkwürdiges Folgen: vorneweg der Offizier, dann vier junge Soldaten von den bewaffneten Grenztruppen, einer knapp einen Meter rechts vor mir, einer links vor mir und hinten das gleiche, alle haben ihr Gewehr geschultert und gehen im Gleichschritt. „Alles dass sie nicht im Stechschritt gehen“, denke ich.

Wir gehen in ein niedriges Gebäude und dort in etwas, das ich für einen Vernehmungsraum halte. In dem Raum gibt es nur einen Schreibtisch und auf jeder Seite einen Stuhl. Auf der einen Seite sitzt ein Uniformierter, ob VoPo oder Grenztruppen, weiß ich nicht, vermutlich letzteres. Die vier anderen Soldaten sind inzwischen gegangen, der Offizier heißt mich hinzusetzen.

Was wird mir vorgeworfen?“ frage ich.

Sie stehen im Verdacht gegen § 15, Absatz 2, des Abkommens über die Transitwege von und nach Berlin (West) verstoßen zu haben“, antwortet der Offizier.

Aha, und was steht in diesem § 15, Absatz 2, des Abkommens über die Transsitwege von und nach Berlin (West) drin?“

Anmerkung: für die Richtigkeit des Paragrafen kann ich mich nicht verbürgen, es ist schon zu lange her.

Ich bin nicht befugt, Ihnen das zu sagen.“

Ich zucke die Schultern, der Offizer geht. In der Tür steht ein Uniformierter mit einem Gewehr in den Händen, er hält es schräg vor sich, scheint Vorschrift zu sein. Der andere hinter dem Schreibtisch sagt auch nichts.

Und,“ frage ich, „wie geht’s jetzt weiter.“ - Schweigen.

Nach einer Viertelstunde mache ich einen neuen Anlauf. „Also, wenn das hier noch länger dauert, wir sind gerade zu dritt, vielleicht hat ja einer von euch Skatkarten dabei? Dann könnten wir uns etwas die Zeit vertreiben.“ - Schweigen

Das hätte man einem ja auch vorher sagen können, dann hätte ich mir wenigstens was zum Lesen mitgenommen.“ - Schweigen.

Ich lehne mich zurück, schließe die Augen, dann eben ein Nickerchen.

Nach etwa einer Stunde öffne ich die Augen wieder. Der andere starrt an die Decke. Ich schaue dort auch hin, kann aber außer einer Glühbirne in einer Fassung dort nichts entdecken, versuch es noch einmal:

Ja, stimmt, hübsche Glühbirne, ist die neu?“ - Schweigen.

Ich schließe wieder die Augen und öffne sie erst als sich wiederum die Tür öffnet. Der Offizier von vorhin ist wieder da, er blickt jetzt nicht mehr so versteinert, sondern irgendwie erleichtert: „Der Verdacht des Verstoßes gegen § 15, Absatz 2, des Abkommens über die Transitwege von und nach Berlin (West) hat sich nicht bestätigt, Sie können gehen.“ Sagt´s und macht eine einladende Bewegung: ich könne weggehen.

Halt!“ sage ich „es gibt da noch ein Abkommen, eines zwischen uns, Sie haben mir zugesagt, dass Sie mich hinterher genau so wieder zum Auto bringen, das Fahrzeug aufschließen und starten.“

Jetzt schaut er wieder weniger freundlich, aber der Satz „pacta sunt servanda“ scheint auch in der DDR zu gelten, er ruft die vier kleinen Soldaten wieder, und man bringt mich „genau so“ wieder zum Auto zurück. Dann hält er mir den Autoschlüssel hin. Ich schüttle den Kopf und zeige auf die Tür. Er schließt auf und sieht mich an. „Auch starten war abgemacht“, er schüttelt den Kopf und gibt einem der kleinen Soldaten den Schlüssel: „Mach!“ Der setzt sich hinters Lenkrad und dreht den Schlüssel um. Nichts. Erwartungsgemäß nichts. Alle fünf sehen mich fragend an. Ich erkläre: „Ja, wenn´s so einfach wäre, hätte es ja der Übereinkunft nicht bedurft.“

Alle schauen ratlos. Ich beschließe den hier üblichen militärischen Gehorsam zu nutzen und reiße die Befehlsgewalt an mich.

Du, da am Lenkrad, ziehe mal dort links den Hebel!“ er macht es, die Kühlerhaube wird entriegelt.

Und du, die Kühlerhaube aufstellen!“ befehle ich dem Zweiten, während ich den Besenstil und den Hammer aus dem Auto hole. Ich wende mich an den Dritten: „Hier nimm den Besenstil und platziere ihn genau auf den gelben Punkt da unten.“ Ich reiche dem Vierten den Hammer. „Und wenn ich gleich in die Hände klatsche, dann schlägst du mittelfest mit dem Hammer auf den Besenstil und du im Auto startest gleichzeitig. Alle machen dienstbeflissen das, was ich ihnen befehle. Hach, was ist militärischer Gehorsam doch manchmal so toll!

Ich klatsche in die Hände, alle tun das, was ich angeordnet habe - aber nix passiert. Ich gehe nach vorne und sage „Vielleicht hast du nicht genau auf den gelben Punkt gezielt, nochmal!“

Wieder nix! - Diesmal schaue ich belämmert aus der Wäsche: „Komisch, sonst funktioniert es immer.“

Das ist die Stelle, an der der Offizier die Befehlsgewalt zurück erobert. „So etwas Verrücktes, wir lassen uns doch von Ihnen nicht verkohlen!“ Und dann befiehlt er seinen Leuten mein Auto zu schieben: „Auf Männer, ihr schiebt den jetzt einfach bis zur Grenzmarkierung, sollen die drüben sich doch mit dem rumärgern!“

Ja, und so kam es, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes aus der DDR abgeschoben wurde.

Allerdings hatte mir der letzte Befehl des Offiziers doch zu denken gegeben, was wird jetzt aus mir? Ich könnte ja einmal versuchen, ob der Motor vielleicht auch durch das Anschieben anspringt, wenn ich zünde. Genau an der Markierung der Staatsgrenze drehe ich den Zündschlüssel – und siehe da, der Motor springt an und ich fahre weiter. Ich winke den Grenzsoldaten zu, die mir hinterher starren. „Die armen Kerle müssen sich jetzt wirklich verkohlt vorkommen“, denke ich, „dabei kann ich doch gar nix dafür.“

An der nächsten Telefonzelle halte ich, es ist kurz vor Mitternacht, ich will meiner Schwester Grasmücke sagen, dass ich doch noch komme. In dem Moment rammt ein anderes Auto den Ford und begeht Fahrerflucht. Da ich gerade in der Telefonzelle bin, rufe ich die Polizei an, die Autonummer des Flüchtigen habe ich, der angetrunkene Täter wird vor seinem Haus aufgespürt. Was ich allerdings nicht einkalkuliert hatte, war, dass es jetzt noch einmal drei Stunden dauerte, bis meine Aussage aufgenommen worden war. Es hätte gewiss noch länger gedauert, wenn ich nicht nach über zwei Stunden den Dilettanten hinter der Schreibmaschine wegkomplimentiert hätte und das Protokoll selbst fertig getippt hätte. Sagen wir einmal so: für das Jahr 1979 kann ich nicht bestätigen dass die Westberliner Polizeibehörde unbürokratischer ist als die Grenztruppen der DDR.

Noch ein kurzer Epilog. Am Sonntag bin ich auf dem Rückweg, den Grenzkontrollpunkt Dreilinden habe ich passiert, bin problemlos und mit durchsichtigen Scheiben durch den ersten sozialistischen Staat deutscher Nation gekommen. Jetzt stehe ich für die Ausreise an der Grenze bei Herleshausen an. Ich gebe meine Papiere ab, sie verschwinden in der Rohrpost. Ich gelange zu der Beamtin im Glaskasten, sie führt die Personenkontrolle durch – und dann – ich glaube ich spinne – geht vor mir eine Betonwand hoch. Die Beamtin telefoniert: „Ja, ja, warte mal Genosse, ich schaue einmal nach“, sie wiederholt meine Autonummer, reißt dann entsetzt die Augen auf. Vor mir geht die Betonwand weg, die Schranke öffnet sich, Die Grenzbeamtin gibt mir hastig die Papiere, schreit: „Fahren Sie! - Fahren Sie!“

Unter schallendem Lachen verlasse ich das Land: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich im Arbeiter- und Bauernstaat schon so bekannt bin!“


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