Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 31.7.2022

Szene 077 – Dinner for One oder Der 90. Geburtstag – 2012 (+2022)


Dies ist eines der Ereignisse, die sich während meiner großen Pilgerwanderung abspielten, hier ein Tagebuch-Auszug aus der 85. Etappe in Serbien an der Donau:

Am Morgen des 85. Tages ging ich an die Hotelrezeption und versuchte von der Rezeptionistin ein Taxi bestellt zu bekommen, womit diese allerdings hoffnungslos überfordert war. Sie war tröstlicherweise der Meinung, dass gegen 6.30 h ihre Ablösung käme und dieser mir helfen könne. Der kam dann zwar auch und wusste, wie man telefoniert, es war ihm jedoch auch nicht möglich ein Taxi im größten Badeort Serbiens aufzutreiben, vermutlich weil er nur die Nummer eines einzigen Taxifahrers kannte. Also begab ich mich nach draußen, besorgte mir in einem Laden etwas Verpflegung (mein Frühstückseis und eine Cola für gleich sowie Kikeriki - der hisige Name für gesalzene Erdnüsse - und zwei Bananen für später, wobei Bananen hier eher ein seltener Luxusartikel sind. Für die zwei Bananen zahlte ich 40 Dinar, immerhin über 30 Cent).

Dann suchte ich weiter nach einer Fahrtmöglichkeit. An einem Gebäudekomplex stand an, dass es sich um einen Laden, ein Hotel, eine Spedition und eine Taxiunternehmung handele. Und tatsächlich war man mir zunächst im Laden behilflich, alsdann bei der Hotelrezeption in diesem kleinen Hotel, das sicher sehr viel billiger als mein vornehmes Hotel, an dem mich mein Fahrer des Vortages abgesetzt hatte, gewesen wäre. Und siehe da, es gelang ein Taxi zu rufen, wobei ich mich erst einverstanden mit dem Taxipreis erklären müsse, denn sonst käme das Taxi nicht hergefahren, der Fahrer hätte eine Viertel Stunde Anfahrtzeit. Ich war selbstverständlich damit einverstanden, denn der Preis von 1000 Dinar für 25 km Fahrtstrecke (zuzüglich der An- und Abfahrtszeit des Taxifahrers), war mit knapp 9 EUR deutlich günstiger als die entsprechende Entfernung mit den Bussen und Bahnen in Deutschland. Ich gelangte also von Golubac zurück nach Srednjevo und konnte nun die Strecke, die ich gestern bereits per Anhalter gefahren war, erneut zurücklegen, diesmal per pedes.

Die Straße führte über ein Flüsschen, wo mir vor allem die malerische Brücke gefiel.

Neben einer aufgegebenen Bank, einer ehemaligen Post und einer verlassenen Wirtschaft gab es hier noch einen Laden. Da ich jedoch noch nicht bedürftig war und die Leute bei meinem Anblick entsetzt flohen, verzichtete ich darauf, dem Laden einen Besuch abzustatten. Ich erfreute mich hier stattdessen an der noch wirklich bäuerlichen Landwirtschaft mit kleinen Gehöften, auf denen noch Bauer und Bäuerin, deren Eltern und Kinder in traditioneller Arbeitsweise ihrem Tagwerk nachgingen. Zu jedem Gehöft gehörte etwas Landwirtschaft und die Haltung einiger Nutztiere zum Eigenbedarf, allerdings hatte auch hier der Traktor das Pferd verdrängt. Ich habe in ganz Serbien außerdem keinen einzigen Ochsenkarren gesehen.

Wenig später näherte ich mich wieder der Donau, von deren anderem Ufer ein unheimliches Dauergrollen von Gewittern zu künden schien. Möglicherweise gehörte es allerdings auch zur Image-Aufrechterhaltung des Nachbarlandes, denn am anderen Ufer liegt Transsylvanien.

Ich folgte der M 25-1 Richtung Golubac, dem größten Badeort Serbiens, hier ist die Donau sieben Kilometer breit, was daher kommt, dass diese sich danach in ein engeres Tal drängen muss, denn hier beginnt das Balkangebirge. Die südliche Donauseite ist hier serbisch, die nördliche rumänisch. Allerdings gibt es auf 40 km in beide Richtungen keine Brücke über den Strom.

Es war schön zu sehen, dass sich die Menschen bei diesem heißen Wetter fröhlich in der Donau tummelten, auch wenn die Wasserqualität sicher nicht dem entsprach, was ich mir wünschen würde, aber immerhin gab es an einigen Stellen Duschen, sodass sich die Leute nach dem Baden den gröbsten Unrat abspülen konnten.

So legte ich in diesem sommerlichen Strandgetümmel, das jedoch weiterhin von donnerndem Grollen von jeseits der Donau begleitet wurde, die letzten Kilometer bis Golubac zurück, wo ich mich ja bereits am Tag zuvor im vornehmen Hotel Golubacki Grad einquartiert hatte, und wo ich auch diese Nacht noch verbringen würde. Nicht wirklich gut erkennt man auf dem Bild links die zahlreichen Windkraftanlagen auf dem Bergrücken in Rumänien, von denen sich jedoch keines drehte, nicht einmal, als später der Wind immer mehr auffrischte.

Meine früher gewonnen Erkenntnisse über die rumänische Wirtschaft verleiteten mich zu der Annahme, dass man dort die Windmühlenflügel einfach an die Türme geschweißt hat. Vielleicht doch etwas ungerecht von mir? (aber nur vielleicht)

Allmählich trübte sich der Himmel etwas ein, was aber der Freude der Menschen auf den Ausflugsdampfern nicht abträglich schien. Hinter meinem Hotel fand eine Art großes gemeinsames Picknick statt. Es war ein Fischsuppenfestival, bei dem alle die beruflichen wie auch die Hobbyfischer, ihre Produkte als Fischsuppe zubereiteten. Die Menschen strömten herbei und besahen sich das Spektakel. Ich ging nur kurz darüber, denn der viele Rauch und die geschlachteten Fische, die kleingeschnitten und angebraten wurden, erfreuten weder meine Nase noch meine Augen allzu sehr.

Doch jeder der Hobbyköche war ganz begeistert bei seiner Arbeit. Im Rahmenprogramm traten noch Trachtengruppen mit Volkstänzen auf. Ich jedoch zog mich in eine Café-Bar zurück, um meinen Kinder zu simsen. Mir war die Idee gekommen, meine Mutter heute um 20 h zu ihrem 90. Geburtstag auf ein Bier (mochte sie) und zum Abendessen in ein nahes Restaurant einzuladen. Vielleicht hätte ja eines meiner Kinder auch Lust, um diese Zeit mit ihrer Oma auf den runden Geburtstag anzustoßen.

Danach ging ich noch in der Nähe des Festivals an, sah einigen Kunsthandwerkern zu, wie den Malern oder den Korbflechtern, die man auf den beiden Bildern unten sehen kann, und begab mich dann zum Restaurant.

Zwar war es noch nicht 20 h, aber ich hatte festgestellt, dass ich doch bereits Hunger hatte, außerdem war das Gegrummel über Rumänien in letzter Zeit angestiegen, und ich hegte den Verdacht, dass ich, wenn ich erst um 20 h mit dem Dinner for One beginnen würde, vielleicht eine unangenehme Überraschung erleben würde. Also begab ich mich in ein nahes Restaurant und bestellte uns eine Pizza 4 Formaggio, einen griechischen Salat und zwei Bier. Der Ober schien mich jedoch nicht ganz richtig verstanden zu haben, denn er brachte nur einmal Besteck und ein Bierglas. Ich schickte ihn also weg, denn meine Mutter braucht schon ein eigenes Glas, so versuchte ich ihm zu verstehen zu geben, gerade an ihrem 90. Geburtstag.

pizza

Ich muss sagen, dass ich von diesem Augenblick an ihre Anwesenheit sehr deutlich spürte. Der Aschenbecher stand da, falls sie rauchen wollte. Sie hatte das zwar kurz vor ihrem Tod 1978 aufgegeben, aber das konnte sich ja wieder geändert haben. Wir hatten ein langes Gespräch über unsere Probleme, unsere guten Absichten und die Fehler, die auf beiden Seiten begangen worden waren. Allerdings reagierte sie etwas ungehalten auf mein großzügig gemeintes Angebot, ihr ihre Fehler zu verzeihen.

Gerade in diesem Moment – und ich bedaure inzwischen sehr, das so gesagt zu haben - schwoll das Gegrummel über Rumänien jedoch weiter zu einem bedrohlichen Grollen an und der Himmel trübte sich mehr und mehr ein.

Was mich allerdings doch sehr wunderte, war, dass meine Mutter ihr Bier noch nicht angerührt hatte, so kannte ich sie sonst gar nicht. Schon war aus dem Wetterleuchten entfernte Blitze geworden und aus dem Grollen echter Donner und von einer Minute auf die nächste kam Wind auf, böiger Wind, heftiger Wind, Sturm. Als erstes flogen die Papierservietten weg, dann die ersten leichteren Sonnenschirme. Ich sprang auf, lief zum Kellner, um zu zahlen, der war zu beschäftigt, wollte mich vertrösten, ich aber steckte ihm das Geld zu: „It´s o.k.“ Es waren 1000 Dinar, etwa 8,50 EUR, ein Aufschlag von rund 20 % auf den regulären Preis.

Ich wollte noch einmal zu meinem Tisch zurück, doch in diesem Moment hob der Sturm die Tischdecke an und trug sie samt Geschirr weg. „Eben hat sie ihr Bier abgeholt“, war mein letzter Gedanke, denn in diesem Moment verspürte ich auch nicht mehr die Anwesenheit meiner Mutter.

Ich floh jetzt, das Wetter war mir zu bedrohlich, die Situation zu gespenstisch. Ich wollte nur noch weg, die meisten anderen Leute hatten auch bereits das Weite gesucht, nur einzelne bemühten sich noch darum, ihr Hab und Gut zu retten, während Blitze und Wetterleuchten dauernd im raschen Weschsel von Hell auf Dunkel umschalteten. Ich rannte am Strand entlang zum Hotel, in diesem Moment setzte der Regen ein.

Ich war gerade vor dem Hotel angekommen, wo sich Polizei und Feuerwehr für erste Einsätze bereit machten, als mich ein Geräusch aufschreckte, es war die Turmuhr. Aber was mich so erschütterte, war nicht die Tatsache, dass es Punkt acht Uhr schlug, die Zeit, zu der ich mich eigentlich mit meiner Mutter verabredet hatte, sondern es war der Klang dieses Glockenschlages, es war ein Sound, den ich kannte.

Es klang genau wie die ersten Töne des Songs der österreichischen Kultband “Erste Allgemeinen Verunsicherung”: „Grüß Gott, ich bin der Tod“, in dem der Sensenmann auftritt und den Interpreten bedroht.

Momentan erschüttert drehte ich mich rasch um, dorthin, woher der Ton kam – und auf dem Gebäude, an dem die Glocke läutete stand er – der Sensenmann! „Du, du kommst mir jetzt aber vollkommen ungelegen“, stammelte ich erschüttert und verwirrt daher. Doch nur Bruchteile einer Sekunde später hatte ich realisiert, dass dies nicht der echte Sensenmann war, der dort stand, sondern eine Statue. Dennoch verwunderte und verunsicherte mich dieses merkwürdige Zusammentreffen: die Begegnung mit meiner toten Mutter am ihrem 90. Geburtstag beim Dinner for One, der gleichzeitig auftretende Sturm, der ihr Gedeck und ihr Bier abholte, das unheimliche Gewitter über Transsylvanien, dieser markerschütternde, mir so bekannte Glockenton und dann – genau an der Stelle, von der dieser Klang kam – die Rupa des Sensenmannes. „Das glaubt Dir hinterher keiner“, durchfuhr es mich, also griff ich zum Foto um wenigstens den Sensenmann abzulichten.

todSchwarzer Mantel,
schwarzer Hut
A schaurige Figur!
Und er hat a Sensn
Und a Eieruhr!
Langsam kommt er näher:
Grüß Gott!
I bin der Tod!
Vorbei ist deine Not!
Kumm - dei Zeit is um.
Geh, moch ka Theater.

I bins - der Gevatter!“


Ergänzung im Juli 2022

Ja, ich muss sagen, dass es eine gute Idee war, mich mit meiner Mutter an ihrem 90. Geburtstag zu treffen, aber dass es absolut ungeschickt, ja tölpelhaft war, etwas zu tun, wozu wir gemeinhin neigen: nämlich die negativen Dinge, die uns jemand angetan hat, in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die guten. Wieviel Gutes hatte mir doch meine Mutter getan! Und ich, der sie seit über 30 Jahren nicht getroffen hatte, muss mit einem "Ich verzeihe dir, Mutter" diesen großartigen Moment zerstören, diese Chance zu einer wirklichen Aussöhnung zu kommen, diese Gelegenheit "Lob des Guten" zu machen, verpassen, ja idiotisch konterkarrieren.

Schon in den nächsten Tagen während meiner Wanderung sann ich darüber nach, wie ich diese Schmach auswetzen konnte. Ich hatte eine großartige Gelegenheit verpasst, ihren 90. Geburtstag. Und ich kam zu der Erkenntnis, dass es die einzig vernünftige Idee sei, ihren 100. Geburtstag zu nutzen, was allerdings erst in zehn Jahren, am 29. Juli 2022 der Fall wäre. Ich nahm mir fest vorher, an diesem Tag ein neues Treffen mit einer Mutter anzustreben und dann besser vorbereitet zu sein. Und in all diesen zehn Jahren war mir das bewusst. Nicht dass ich einen exakten Plan hatte, was dann zu tun sein. Ich wusste nur: es musste ähnlich genug sein, um mit ihr in Kontakt zu kommen, aber doch ganz anders, denn mir lag daran ihr zu danken, und nicht das Negative, das es neben dem vielen Positiven auch zwischen uns gab, in den Mittelpunkt zu stellen.

Im letzetn Jahr vor ihrem 100. Geburtstag wurde mir immer klarer, dass es allmählich Zeit wäre, etwas zu planen - aber ich wusste nicht, wie ich es angehen sollte. Schließlich sagte ich mir, damals, im Jahr 2012, hätte ich auch erst am Vormittag den Entschluss gefasst, ein Rendevouz mit ihr auszumachen. Ich sagte mir es müssen wieder etwas Spontanes sein, aber eben doch ein bisschen besser vorbereitet...

Ich war immer davon ausgegangen es müsste so etwas wie eine Geburtstagsfeier zu zweit sein, ein gemeinsames Essen. Dann fiel mir auf, dass der 29. Juli 2022 ein Freitag war. Am Abend zuvor würde ich von meinem jetzigen Wohnort in Türingen nach Gelnhausen fahren, um am Donnerstag, dem 28. Juli, den Meditationsabend im Meditationsraum am Obermarkt zu leiten. Gibt es einen besseren Platz, um mit dem Transzendenten in Kontakt zu kommen, als dieser Raum? Wohl nicht.

Und so fasste ich etwa eine Woche vor dem großen Tag den Entschluss, ein Ritual für meine Mutter in diesem Meditationsraum zu machen. Dabei wäre es gewiss hilfreich, ein Bild von ihr auf dem Schrein zu haben, jedoch hatte ich kein einziges Bild von ihr. Als ich 2004 gezwungen war, mein früheres Haus zu verlassen, hatte ich praktisch alles zurückgelassen - auch alle Fotos.

Also bat ich die Mutter meiner Kinder telefonisch, mir ein Foto meiner Mutter zu geben. Tatsächlich sagte sie dies zu, und so wurde ich am Morgen des 29. Juli bei ihr vorstellig. Sie gab mir zwei Fotos, ein ganz kleines, wie man sie Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Fotoalben hatte, das meine Mutter zusammen mit meinem Vater und einem Fahrrad zeigte. Ich datierte es auf 1950. Dann noch ein etwas größeres, postkartengroßes Farbfoto, das meine Mutter Anfang der 70er Jahre zeigte.

Ich hatte inzwischen meiner Mutter und dem Himmel angekündigt, dass ich um 18.00 h ein Ritual anlässlich des 100. Geburtstag von Hertha Gisela Ruth Gunkel machen würde. Gegen 14 h setzte ich mich hin und fragte mich: was will ich eigentlich konkret machen? Und ganz spontan kam mir die Idee: Naikan! Naikan ist eine japanisch-buddhistische Praktik, die (auch) der Aussöhnung mit den eigenen Eltern dient. In der vereinfachten Variante geht es darum, sich hinsichtlich einer Person, hier also meiner Mutter, drei Fragen zu stellen und die Antworten aufzuschreiben:

1. Was hat diese Person alles Gutes für mich getan?

2. Was habe ich alles Gutes für diese Person getan?

3. Wie habe ich dieser Person Ungemach bereitet?

Die vierte Frage, die man stellen könnte, wird bewusst nicht gestellt. Es war die, mit der ich mich törichterweise zehn Jahre zuvor beschäftigt hatte.

Ich nahm mir ein weißes DIN-A-4-Blatt notierte, was meine Mutter mir gutes getan hatte. Es ergab zwei Seiten.

Dann nahm ich ein grünes DIN-A-4-Blatt und notierte, was ich ihr gutes getan hatte. Ich kam nur auf eine halbe Seite.

Schließlich nahm ich ein rotes Blatt DIN-A-4-Blatt und schrieb mein Fehlverhalten ihr gegenüber auf, was immerhin eine Seite ausmachte.

Um 15 h war ich damit fertig. Ich beschloss, das jetzt erst einmal so stehen zu lassen und ins Café zu gehen, um die Zeitung zu lesen. Um 17.00 h ging ich zurück. Auf den Straßen Gelnhausens bereiteten die Gasthäuser gerade die Außengastronomie vor, stellten Tische und Sonnenschirme auf. Ich hörte eine Wirtsfrau zu ihrer Nachbarin sagen: "Nein, da brauchst du gar keine Bedenken zu haben, heute gibt´s keinen Regen mehr." Aha, dachte ich, auf jeden Fall nicht wieder so ein Unwetter wie vor zehn Jahren. Um 17.15 h war ich am Obermarkt und plötzlich sehr müde. Ich stellte mir den Wecker auf 17.45 h und legte mich auf ein Sofa.

17.40 h werde ich jäh geweckt: Ein Donnerschlag - ich schrecke auf, einnere mich an die Szene vor zehn Jahren: Deja-vu! Nein es regnete nicht. Aber der Himmel grummelte weiter: Blitze, gefolgt von Donner. Ich stellte die Bilder auf den Schrein, holte Kerzen und jetzt setzte der Regen ein. Ein ausgwachsenes Gewitter mit Starkregen - entgegen der Wettervorhersage - genau wie vor zehn Jahren. Ich hatte absolut keinen Zweifel, dass meine Mutter meiner Einladung gefolgt war. Ich entzündete die Kerzen und stimmte ein Mantra an.

Regen

Dann begrüßte ich meine Mutter. Nicht verzagt, laut und deutlich. Ich sprach mit einer klar vernehmlichen festen Stimme, wie ein Redner auf einer Kundgebung. Ich begrüßte meine Mutter und alle anderen unsichtbaren Wesen, die gekommen waren, dieser Zeremonie beizuwohnen. Dann erklärte ich, was ich machen wollte. Ich kündigte an, die Ergenisse meiner Naikan-Übung darzulegen.


Schrein

Ich erläuterte, dass ich mit der Frage, wie ich "Dir, meiner lieben Mutter" Ungemach bereitet hätte, beginnen würde. Dann würde ich das Wenige Gute, das ich ihr getan habe erläutern. Schließlich würde ich in einer Laudatio meine Mutter preisen und ihr danken.

Es war eine sehr tränenreiche Veranstaltung, bei der ich zahlreiche Taschentücher durchnässte. Aber es war großartig. Eleos und Phobos kämpften in mir und brachten Katharsis hervor.  Schon während ich das rote Blatt vorlas, legten sich Bltz und Donner, während des gruünen Blattes legte sich der Starkregen und während ich das weiße Blatt vorlas und erläuterte, kam die Sonne heraus. Ich benötigte eine Stunde für meinen Vortrag. Ich saß noch eine weitere halbe Stunde angesichts des Schreines, über den sich jetzt die Sonne ergoß, und mit dem Blick auf die Bilder meiner Eltern.

2022

Es war dafinitiv das Beste, was ich in den letzten Jahren angestoßen hatte! Ich bin sicher, meine Mutter in mir und meine Mutter da draußen endlich richtig gewürdigt zu haben. Und dabei habe ich in diesem Ritual auch unsere große Mutter nicht vergessen, Gaia, unseren Planeten, von dem wir alles haben und ohne den wir nichts wären. Mutter eben.


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