Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 20.1.2020

Szene 61 – Die Wundheilung



Diese Szene ereignete sich während meiner Pilgerwanderung Richtung Bodh Gaya auf dem Weg am Hochkönig nach Bischofshofen, 900 km nach Beginn dieser Wanderung, mein Tagebuch berichtet von der 36. Tagesetappe:

Dieser Tag sollte sich als der schwierigste des diesjährigen Teils meiner Pilgerwanderung erweisen. Ich hatte am gestrigen Wandertag meine Wanderstiefel nur zwischen Maria Alm und Hinterthal getragen, und das hatte sich noch einigermaßen gut angelassen, die Wunde, die ich mir zwei Tage zuvor zugezogen hatte (eine 5 cm große und mit Pflaster abgedeckte Blase war beim Strumpfausziehen aufgerissen, jetzt lag das Fleisch blank), hatte zwar etwas genässt, aber nicht stark geschmerzt. Heute brach ich also im Maria Almer Ortsteil Hinterthal, das ist dort, wo der frühere Bundespräsident Scheel mit seiner Frau Mildred ein Sommerhaus hatte, auf und ging die Bundesstraße 164 entlang, denn diese war wegen Bauarbeiten zwischen Hinterthal und Dienten gesperrt.

Zunächst ging es auf der Hochkönigstraße stetig aufwärts bis zum Filzensattel auf 1291 m, dann bis Dienten wieder etwa 250 m abwärts. Von dort aus führte die Straße allmählich aber beständig aufwärts, an verschiedenen großen Hotelanlagen vorbei. Inzwischen hatte ein Nieselregen eingesetzt, ich hatte meine Regenjacke übergezogen, passierte die „Übergossene Alm“ und wurde immer wieder von Radrennfahren überholt, denn hier finden heute offensichtlich ein Bergradrennen statt. Auf 1400 m Höhe erreiche ich am Dientner Sattel die Dientenalm, wo ich kurz Rast machte. Ich bin dort heute der erste Gast und esse zu meinem Hollersaft ein ganz leckeren Apfelkuchen, serviert von einer ebensolchen Bedienung. Der Kuchen war mit Schlagsahne und Zimt - ganz köstlich, die Bedienung hatte eher optische Vorteile. Das war der angenehme Teil des Tages.

Von nun an ging´s bergab. Und das in mancherlei Hinsicht. Erfreulich war natürlich erst einmal, dass die Straße bergab ging, von 1400 m auf 860 m in Mühlbach, doch gleichzeitig machte sich auch die Wunde an meinem Fuß wieder deutlicher bemerkbar. Nun gut: Gehmeditation mit Achtsamkeit auf den Schmerz im Fuß.

Mühlbach ist ein ziemlich langgezogener Ort, ein typisches Straßendorf, aber inzwischen ist die Mittagszeit gekommen, und ich freue mich auf eine Rast, um meinem Fuß zu erholen und mich an einem Mittagsmahle zu laben. In der Ortsmitte schreckt mich ein furchtbar vornehmes Restaurant mit Speisen ab 20 € aufwärts ab – nix für arme Pilgersleut´. Die Wanderkarte kündigt an, dass es ganz am Ortsausgang noch drei Wirtshäuser hat, dort müsste das Essen deutlich billiger sein.

Nun ja. Das erste Gasthaus hat Ruhetag – kommt vor. Das zweite hat den Geschäftsbetrieb eingestellt. Und am dritten steht an, man habe seinen Standort jetzt in die Ortsmitte verlegt, man möge doch bitte die anderthalb Kilometer zurückgehen. Dazu habe ich keine Lust, denn mein Fuß tut jetzt sehr weh – und anderthalb Kilometer zurück macht heute drei Kilometer mehr. In Anbetracht der Fußprobleme habe ich vor, mit jedem Kilometer zu geizen. Dieser Ort ist wirklich sehr in die Länge gezogen, wie man an diesem Bild, das ich zwischen der Ortsmitte und den geschlossenen Gasthöfen aufgenommen habe, unschwer erkennen kann. Außerdem hatte es in der letzten Stunde nicht mehr geregnet, jetzt aber zieht ziemlich dunkle Bewölkung auf und am Nachmittag und Abend soll es eher mehr regnen.

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An einer Bushaltestelle finde ich eine Bank, eine fast trockene, da könnte ich mich doch ausruhen? Und mir fällt ein, dass ich in meinem Gepäck noch zwei Käsebrötchen aus St. Johann habe, das ist jetzt – mal nachrechnen – ja, das muss jetzt fünf Tage her sein; ob man die noch essen kann? Ja, es geht, wenn man etwas den Schimmel abschneidet, sättigen sie durchaus, dazu mein mitgenommenes Trinkwasser und wie gut ist es, den Fuß eine Weile nicht zu belasten!

Kaum dass ich mich wieder in Bewegung setze, beginnt es auch wieder zu regnen. Ich ziehe mir meine Regenjacke über. Zunächst regnet es nur leicht und ich erfreue mich daran, dass im Salzburger Land Kühe noch auf die Weide dürfen. Hier tummeln sie sich sogar mit einem artfremden Weidegenossen. Eins schönes, friedliches Bild. Die dürfen sich ausruhen, obwohl sie keine Fußprobleme haben – glückliche Kühe.

Inzwischen hat es sich richtig eingeregnet. Noch gut zwei Stunden bis Bischofshofen. Man sagt ja, man könne Schmerz gut meditativ betrachten: beim Entstehen, beim Anwachsen, beim Vergehen. Und so betrachte ich jetzt meinen Schmerz in Fuß: bei Anwachsen, beim weiter Anwachsen, beim noch mehr Anwachsen – beim … oh, eben gibt es eine Veränderung! Ja es ist wirklich anders: der Schmerz beginnt zu pochen, zu klopfen, stärker zu klopfen. Mist – das fühlt sich nach Blutvergiftung an. Also vorwärts nach Bischofshofen: Hinsetzen! Schuhe ausziehen! Zimmer! Bett! Medizin!

Doch erst einmal nimmt der Regen zu. Eine Kurve: Gedenktafel für einen Motorradfahrer. Schon zum wiederholten Mal. Was wäre der froh gewesen, wenn er nur einen Fuß mit einer pochenden Wunde gehabt hätte!

Da endlich ist Bischofshofen in Sicht, etwa eine dreiviertel Stunde von hier, denn man kann nicht den direkten Weg gehen. Ich bekomme Schüttelfrost. Dann endlich im Ort, aber: alle billigen Pensionen sind weit außerhalb an den Bergen. Nur der teure Gasthof „Dorfwirt“ in der Ortsmitte. Ich sehe in einem Schnapsgeschäft die Schaufenster-Auslagen, da kommt mir eine Idee: ich erstehe eine 50-ml-Flasche 80%igen Stroh-Rum.

Ich erinnere mich: als Kind hat mir meine Großmutter erzählt, wie Franz, ihr Ehemann, sich einmal eine Blutvergiftung mittels einer sehr hochprozentigen Spirituose behandelte, ich glaube das muss im Ersten Weltkrieg gewesen sein...

Die Übernachtung kostet 46 € - egal. Nur ein Bett! Ich gehe in mein Zimmer, ziehe die Schuhe aus, die Strümpfe aus: das sieht nicht gut aus! Ich nehme ein sauberes Stück Stoff – das einzig passende, was ich fand, war eine frische Unterhose, tränke sie mit dem Stroh-Rum und lege es auf die Wunde, darüber zur Befestigung ein frisches Paar Strümpfe. Mit einem Handtuch umwickelt. Noch eine Paracetamol-Tablette. Dann ins Bett. Unter Schüttelfrost schlafe ich ein.

Zwei Stunden später erwache ich wieder. Kein Schüttelfrost mehr. Was bin ich meinen Großeltern für den Tipp mit dem Schnaps dankbar! … und merkwürdig, diese Geschichte hat über ein halbes Jahrhundert in meinem Unterbewusstsein geschlummert – und heute hatte ich mich erstmals daran erinnert - als habe jemand einen Samen in mein Unbewusstes gelegt, der jetzt aufging! Ich sehe mir die Wunde an, vereitert, aber schmerzfrei. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich richtig toll erholt – und ich habe Hunger. Zum ersten Mal seit ich auf Wanderung fbin, habe ich richtig großen Hunger. Ich gehe runter in den Gasthof, esse zu Abend und bestelle mir ein Viertel Rotwein dazu, dann noch ein zweites, ich will heute Nacht schlafen können wie ein junger Gott. Und siehe: ich konnte schlafen wie ein junger Gott.

Am nächsten Morgen fühle ich mich so erholt wie schon ewig nicht mehr. Die Wunde ist frisch verbunden – die Wanderung kann ohne Unterbrechung weiter gehen. Ha – ist das gut, wenn man keine Schmerzen mehr hat!

Ein Dankgebet an die Beschützer, eine Meditation über das Glück, wieder gesund zu sein – dann kann der 37. Tag der Pilgerreise beginnen!

Und so habe ich mit diesem verletzten Fuß (Bild), die Hohen Tauern, den Alpenhauptkamm, überschritten.

Das kann doch ´nen Buddhisten nicht erschüttern -

keine Angst, keine Angst auf dem Pfad.

Mantra nach Hans Albers in „Große Freiheit Nr. 7“


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