Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 8.1.2020

Szene 44 – Der serbische Polizist



Es war im Jahre 2012 als ich während meiner Pilgerwanderung Richtung Bodh Gaya im östlichen Teil Serbiens ging. Mein Pilgertagebuch berichtet an diesem Tag (der 83. Etappe dieser Pilgerwanderung):

Ich verlasse die ehemalige Industriestadt Smeredevo in südlicher Richtung, entferne mich wieder von der Donau, denn ich hoffe in Pozarevac eine Herberge zu finden. An der Donau folgen jetzt allerdings nur noch kleine Dörfer, wo die Chance dazu sehr gering ist. Ich gehe entlang einer Bahnlinie, an der ich keinen einzigen Zug fahren sah, durch ein ehemaliges Industriegebiet. Auch hier liegt die Industrie brach, lediglich kleineres Gewerbe gibt es noch (...).

Meine erste Rast mache ich nach etwa eineinhalb Stunden in den Außenbezirken des Gewerbegebiets an einem kleinen Laden, vor dem zwei Tische stehen. Wegen des niedrigen Einkommens gibt es auch hier keine Café-Bars mehr, die Läden haben die Funktion des Ausschankbetriebes übernommen. An dem einen Tisch sitzt eine Gruppe LKW-Fahrer und nimmt ihr Frühstück zu sich: Schnaps aus Wassergläsern, 100-gramm-weise, die Ladeninhaberin läuft mit den Flaschen herum und schenkt nach. Unter diesen Umständen wundern mich auch an dieser kleinen Vorortstraße die Gedenktafeln für Verkehrsopfer nicht mehr, z. B. für das zweijährige Mädchen, das wohl beim Spielen überfahren wurde.

krIch hatte mir an diesem Laden noch einmal genau meinen Weg für den heutigen Tag auf meinen Google-Karten angesehen, dann nahm ich die ersten beiden Klarsicht-hüllen mit insgesamt vier Seiten in die Hand und ging weiter. Etwa eine Stunde später stellte ich fest, dass ich eine Hülle mit zwei Karten – etwa zwei Stunden Fußweg – verloren hatte. Zum Glück hatte ich mir bei meiner Rast den Weg so gut eingeprägt, dass ich ihn nunmehr auch ohne die Karten fand, nahm mir aber vor, künftig noch achtsamer zu sein.

Es ging durch eine trostlosen Industriebrachelandschaft mit den ärmlichen Hütten der verbliebenen Bevölkerung, das ist genau die Gegend, wo das Kleinkind überfahren wurde. (...)

Ich hatte inzwischen einen Bahnhof passiert, an dem keine Züge mehr fuhren, und einen Flugplatz, an dem keine Flugzeuge mehr starteten, und gelangte südlich von Vranovo an die Straße M 24, die auch als Europastraße ausgeschildert ist. Ursprünglich wollte ich nicht an dieser Straße entlang gehen, da ich den starken Verkehr fürchtete. Das hätte allerdings bedeutet, vermutlich drei Tage keine Herberge zu finden. Daher hatte ich mich dann entschlossen, einen halben Tag an dieser Straße entlang zu gehen, was laut Auskunft von Google-Maps möglich sei. Dort angekommen, stellte ich jedoch fest, dass die Straße für Fuhrwerke, Traktoren, Fahrräder und Fußgänger verboten ist. Allerdings war ich inzwischen fast drei Stunden gegangen und wollte nicht mehr zurück, also entschloss ich mich, doch der Straße zu

folgen. Allerdings fuhren viele Fahrzeuge sehr schnell, und es ist immer unan-genehm, wenn man zwar links geht, aber ein von hinten kommendes überholendes Fahrzeug mit 140 km/h nur 20 cm neben einem vorbeifährt. Ich ging zügig, um nicht zu lange an den Stellen zu bleiben, an denen man nicht auf einem Seitenstreifen, sondern direkt auf der Straße gehen musste, empfahl mich den Beschützern und hoffte, dass es mir besser erginge als diesem vierbeinigen Kameraden (Bild oben) oder seinen anderen, von mir nicht fotografierten Schicksalsgefährten.

Ich hoffte, von der Staße auf einen nahen Feldweg abbiegen zu können, doch waren diese verschlammt und endeten bald im Nichts, sodass ich weiter der Autorennstrecke folgte. Als sich mir ein erster Polizeiwagen mit Blaulicht näherte, dachte ich schon, man wolle mich prosekutieren, doch es zeigte sich, dass der Polizeiwagen einen Tieflader eskortierte, der einen Panzer transportierte, das einzige Militärfahrzeug, das ich in ganz Serbien zu Gesicht bekam. Vermutlich wurde es abtransportiert, weil es verkauft wurde, möglicher-weise nach Syrien, dort sind ja in letzte Zeit viele Panzer zerstört worden - und Serbien braucht Geld.

Etwa eine halbe Stunde später traf ich erneut auf einen Polizeiwagen, diesmal stand er genau vor mir, auf der linken Seite. Ein Polizist baute sich vor mir auf, blickte streng und sagte etwas recht barsch auf serbisch. Ich antwortete: „Es tut mir leid, aber so, wie Sie sagen, kann ich nicht sagen, und auch nichts verstehen,“ und machte dazu das treudoofste Gesicht, das ich hinbekam.

Nun versuchte es der Polizist auf Englisch: „No pedestrian!“ Ich behielt meine Unschuldsmine bei und beteuerte: „I am no pedestrian, I am pilgrim.“

Das war ein Wort, mit dem der Polizist nichts anfangen konnte: „PIL – GRIM?“ fragte er.

Ich antwortete mit dem Brustton der Überzeugung: „Da, pilgrim, India, Buddha!“ und verbeugte mich gen Osten.

Nun schien der Polizist von der Rechtmäßigkeit meiner Wanderung überzeugt. „Ah! Pilgrim, India, Buddha!“ sagte er verständnisvoll, und trat zur Seite um mich passieren zu lassen. Man muss es den Leuten eben nur richtig erklären.


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