Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 14.1.2020

Szene 33 - Vom Wat und vom Otto – 1995/96



Ich war inzwischen Buddhist geworden, hatte meine Arbeitszeit auf eine Drei-Tage-Woche in der Schule reduziert, arbeitete weiter im ÖkoBüro Hanau und war nunmehr auf der Suche nach einer Sangha, einer Buddhistischen Gemeinschaft, die mich und die ich im spirituellen Streben unterstützen könnte. Logischerweise suchte ich in der Nähe meines Wohnortes, also von Hanau-Großauheim. In Frankfurt gab es verschiedene buddhistische Gruppen, außerdem eine im nahen Langenselbold. Nichts lag also – im wahrsten Sinne des Wortes – näher, als mich dort umzusehen.

Außerdem fragte mich eine Tages meine Schwägerin, Eleonores Schwester. „Gehst du eigentlich auch zum Takbat-Thewo-Fest?“ Mir war nicht klar, wovon sie redete, also ergänzte sie: „Du wirst doch wohl das Takbat-Thewo-Fest, den höchsten buddhistischen Feiertag kennen?“ Auch das musste ich verneinen. Der höchste buddhistische Feiertag ist das Wesak-Fest und das lag in einer ganz anderen Jahreszeit. Aber meine Schwägerin bestand darauf, das dieses Tkabat-Thewo-Fest das höchste buddhistische Fest sei, das habe schließlich in der Zeitung gestanden, und im Kloster in Langenselbold würde es gefeiert.

Es war eines der typischen Beispiele dafür, dass irgendeine regionale oder nationale Gewohnheit aus einem buddhistischen Land für „den Buddhismus“ gehalten wurde. Das ist ungefähr so logisch, als würde man den Osterhasen für einen christlichen Propheten halten und das Oster-Ei für das Symbol des Christentums. Allerdings ließ ich mir von meiner Schwägerin den Zeitungsartikel geben und las, dass anlässlich dieses Festes im Wat Puttabenjapon, im buddhistischen Kloster in Langenselbold, dieses Fest gefeiert wurde, dass dazu 500 Besucher aus ganz Deutschland erwartet würden, und man den Mönchen eine geeignete Fastenspeise mitbringen solle.

Also beschloss ich, auch dorthin zu gehen. Da sich der buddhistische Vorsatz des „Nicht-Verletztens“ auch auf Tiere bezieht, achtete ich darauf, dass meine Essensspende nicht nur vegetarisch, sondern vorsichtshalber auch vegan war, den Kaloriengehalt eines Erwachsenen für einen Tag sicherstellte, denn Theravada-Mönche essen nur einmal täglich, und außerdem alle Vitamine und Mineralien einer vollwerigen Ernährung enthielt. Es schien mir zwar merkwürdig, dass 500 Besucher alle eine Mahlzeit für die zehn bis 15 anwesenden Mönche mitbringen sollten, aber ich dachte so, auf der sicheren Seite zu sein. Da das Fest den ganzen Tag gehen sollte, nahm ich auch noch etwas Porviant für mich mit.

Tatsächlich kamen etwa 500 Menschen aus ganz Deutschland. Fast alles ältere deutsche Männer mit jüngeren Thai-Frauen. Es war ein großes Wiedersehen der fast ausschließlich weiblichen Thai-Gemeinde in Deutschland, die hier war, um ihre nationale Kultur zu pflegen – und ich fühlte mich in etwa so deplatziert wie auf einem Heimatvertriebenen-Treffen der Schlesier. Und ich hätte mich bei den Heimatvertriebenen auch deplatziert gefühlt, wenn es schlesische BuddhistInnen gewesen wären, glaube ich!

Auch die mitgebrachten Speisen waren keineswegs in erster Linie für die Mönche gedacht, sondern daraus wurde ein großes Fest-Buffett zusammengestellt. Mein ausgewogenes veganes Mahl verschwand irgendwo in einer Ecke. Was war das auch schon neben zahlreichen Platten, auf denen sich unter anderem hunderte von Hähnchen-Schenkeln türmten. Hatte der Buddha nicht gelehrt, dass für Laien, für Nicht-Mönche und -Nonnen, die wichtigste Praxis die Ethik sei. Und dass von den fünf Vorsätzen der Laien derjenige des Nicht-Verletzens der Höchste sei? Und niemand störte sich an all den geschlachteten Tieren. Selbst die Mönche bedienten sich ausgiebig an den Hähnchenschenkeln, während meine ausgewogene vegane Mahlzeit keines Blickes gewürdigt wurde.

Ich habe hier nur einen kurzen Auschnitt aus dem Fest geschildert, aber ich kann versichern, dass mir alles ebenso befremdlich und von buddhistischen Idealen weit entfernt schien. Ich blieb nicht bis zum Ende des Festes, sondern setzte mich schon bald ab. Ich nahm mir aber vor, zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu kommen, wenn „Normalbetrieb“ herrschte und ein Mönch einen Vortrag halten würde.

Und dennoch fand ich mich einige Zeit später wieder dort ein, als ein Mönch abends einen Vortrag hielt. Ich kam selbstverständlich mit dem Zug und ging die etwa 2 km vom Bahnhof, der außerhalb des Ortes am Wald lag, nach Langenselbold. Mein Auto hatte ich 1991 verkauft, und das hatte auch mit dem Gebot des Nicht-Verletzens zu tun. Damals, der erste Golfkrieg der USA (unter George Bush senior) gegen den Irak hatte gerade begonnen, da hatte der deutsche Bundeskanzler Kohl gesagt, Deutschland werde sich nicht militärisch im Krieg engagieren, sondern finanziell. Der deutsche Beitrag zum Irak-Krieg würde durch eine Erhöhung der Mineralöl-Steuer um 16 Pfg. finanziert. Da ich nicht vorhatte, die Bombardierung Bagdads zu finanzieren und den Vorsatz des Nicht-Verletzens hochhielt, habe ich selbstverständlich mein Auto verkauft und fuhr nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Um meinen Zug zurück am Bahnhof zu erwischen, musste ich aber mit dem letzten Bus von Langenselbold aus fahren. Ich machte den Leiter des Klosters – ein deutscher Ehemann einer Thai-Frau – darauf aufmerksam, dass ich diesen Bus unbedingt erwischen müsse, und ob das denn machbar wäre. Er sagte, er würde mit dem Mönch sprechen und versicherte mir dann, ich könne mich darauf verlassen, der Mönch würde dies beachten – der sei ja so etwas von achtsam - ich müsse also nicht vorher zu Fuß zum Bahnhof, sondern könne ruhig abwarten und dann mit dem Bus fahren. Ich dürfe nur unter gar keinen Umständen während des hochgeistigen Vortrages des ehrwürdigen Referenten gehen, das wäre eine ungeheure Beleidigung – und außerdem absolut nicht nötig, weil der Mönch mein Problem jetzt kenne und ein Meister der Achtsamkeit wäre.

Auch er, Klaus, wäre einer, der sich auf dem Pfad der Achtsamkeit übt. Sprach´s und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Ich solle nur betrachten mit welch großer Achtsamkeit er das Glas einschenke, damit kein Tropfen verloren ginge, er sei schließlich auf dem Pfad der Achtsamkeit unterwegs und würde ständig die Folgen seines Handelns betrachten.

Ich war entsetzt. Er schenkte das Wasser, gewöhnliches Wasser, wie es in ausgezeichneter Qualität auch aus der Leitung kam, aus einer Einwegverpackung aus Verbundmaterial aus. Das Wasser war auf der Straße aus Südfrankreich mit LKW gebracht worden. Die Verpackung war aus einem Verbundmaterial und würde in einer – damals noch dioxinemitierenden – Müllverbrennungsanlage landen. Und das Ganze war in Langenselbold, dem Ort, wo damals eine Müllverbrennungsanlage geplant war und daher Umweltverbände, Kirchen usw. die Bevölkerung aufgerufen hatten ihren Widerstand gegen diese umweltzerstörende Haltung dadurch zu dokumentieren, dass man auf alle unnötigen Einwegverpackungen verzichtet. Aber dem ach so achtsamen Buddhisten Klaus fiel gar nicht auf, was er da machte!

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass der Mönch überhaupt nicht daran dachte, auf mein Busproblem zu achten. Und ich traute mich nicht, den Mönch durch meinen Aufbrauch während seines Vortrages zu beleidigen und verharrte. Hinterher war selbstverständlich mein Bus weg. Einen Zug konnte ich jetzt nicht mehr erreichen. Also ging ich durch den Ort und suchte mir eine Telefonzelle, von wo ich ein Taxi rufen konnte, das mich nach Hause brachte. Es kostete soviel wie eine Zugfahrt von Frankfurt nach Berlin.

Und was war das für ein Vortrag, den der Mönch hielt? Nun er erklärte uns die „Leerheit“. Das ist sicher ein anspruchsvolles Thema. Aber meiner Laien-Ansicht nach ist der philosophische Gedanke der „Leerheit alles abhängig Entstandenen“ nichts, was man besonders gut an einer Kleenex-Schachtel demonstrieren kann, indem man alle Tücher rauszupft und nun seine Leere zeigt. Vielleicht wäre seine verbale Erläuterung sinnvoll gewesen. Allerdings sprach der Mönch seinen Vortrag auf Thai. Es gab zwar eine deutsche Übersetzung des Vortrags durch Klaus´ Ehefrau, die allerdings die deutsche Sprache nur rudimentär beherrschte. Es dauerte lange, bis ich beispielsweise begriff, dass das bei ihr immer wiederkehrende „Dighai“ richtig „der Geist“ heißen muss. Aber auch meine Nacfrage, ob es sich bei diesem Geist um den buddhistischen Begriff „citta“ (Geist/Herz) oder „viññāa“ (Geist/Bewusstsein) handele, bekam ich nur die Antwort. „nein, nix das, ist Dighai“.

Bleibt noch zu erwähnen, warum der Mönch so lange für seinen Vortrag benötigte. Unter den Zuhörerinnen waren drei sehr attraktive, besonders herausgeputzte und total überschminkte Frauen, die den Mönch dauernd fragten, ob sie ihn besuchen könnten, in Thailand. Er schäkerte lange mit ihnen und machte dann einen Wochenendtrip nach Bagkok mit ihnen aus. Das entsprach nicht ganz meiner Vorstellung von mönchischem Verhalten. Und ich, der ich Flugzeuge mied, weil ich wusste, was das für das Klima und damit für unzählige künftige Generationen von Menschen, Tieren und Pflanzen hieß, die dadruch verletzt oder getötet würden, war abermals ob des hier verwendeten Achtsamkeitsbegriffs höchst verwundert.

Ich habe das Wat in Langenselbold nie wieder besucht. Hier würde ich mich mit Sicherheit nicht spirituell weiter entwicklen können. Aber auch bei zahlreichen Frankfurter buddhistischen Gruppen hatte ich den Eindruck, dass die Besucher – und mehr noch die Besucherinnen – nicht den Dharma, nicht die Lehre des Buddha, suchten, sondern nur irgend etwas besonders Exotisches.

ajSchließlich landete ich für einige Zeit bei der Gruppe eines Deutschen namens Otto. Der war früher in Asien, um den Dharma zu suchen. Er hatte unter anderem im Kloster des bekannten Lehrers Ajahn Chah (Bild unten) gelebt. Otto war arbeitslos und lebte von Sozialhilfe. In der Dachkammer des Hauses, in dem er im Frankfurter Ostend wohnte, bot er Meditation und buddhistische Lesungen an. Anschließend saß man noch zusammen und unterhielt sich, meist waren wir drei bis sechs Leute. Dies schien mir ein ganzes Stück besser – auch wenn eine Teilnehmerin „Schokoküsse“ mitbrachte, die bekanntlich in erste Linie aus Eischnee von Hühnern aus der Käfighaltung hergestellt wurden. Also auch hier war es mit der Achtsamkeit und der Ethik nicht ganz so weit her...

Im Laufe der Zeit störten mich aber nicht nur die Räucherstäbchen – auf die ich allergisch reagiere – sondern auch einige von Ottos Äußerungen. Als ich einmal darauf hinwies, dass der Text des Lotussutras mir sehr fremd und in unserer Zeit irgendwie deplatziert vorkam, verwies er mich darauf, ich „solle das Lotussutra nicht schmähen“, er wüsste, wovon er spräche. Er hätte vor vielen Jahrhunderten auch einmal das Lotussutra geschmäht und wäre zur Strafe fünf Mal in der Hölle wiedergeboren worden.

Sprüche wir dieser ließen mich allmählich auf Distanz gehen. Auch wenn er davon berichtete, wie er vor über 1000 Jahren in einer tiefen Meditation eine Zeitreise vorgenommen habe und dabei in der Frankfurter U-Bahn gelandet sei und sich gefragt habe, warum sich denn die Menschen in 1000 Jahren in Richtung Maulwürde entwickeln würden... dann vertiefte dies sein Ansehen bei mir nicht, sondern ich fragte mich einfach, was der Mann denn wohl geraucht habe...

Dennoch blieb ich bei Ottos Gruppe, solange ich nichts Besseres gefunden hatte. Ich suchte nichts Exotisches, ich suchte den Dharma, die Lehre. Ich suchte Übungsschritte, um mich spirituell entwickeln zu können. Es müsste doch auch etwas ohne diese ganze asiatische Kultur geben. Ich stolperte bei dieser Suche über einen Namen, der vielversprechend klang: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens.

Und was ich dort lernte, war in der Tat deutlich besser. Doch davon an anderer Stelle mehr.


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